Logbuch #2: Informatik in einer IVK

gepostet am 20. November 2015 in Logbuch

Als Lehrer stehe ich immer wieder vor unterschiedlichen Herausforderungen, die stets sehr unterschiedlich schwierig zu lösen sind. Das normale Spektrum geht von einfach zu lösenden Aufgaben bis hin zu mit meinen Mitteln gar nicht zu lösenden Aufgaben. Da ich als Klassenlehrer einer IVK (Internationale Vorbereitungsklasse) in Hamburg immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt werde, habe ich mir angewöhnt, diesen mit einer gewissen Menge an Ruhe und Geduld zu begegnen. Damit an dieser Stelle niemand auf irgendwelche unbeabsichtigten Ideen kommt, sei erwähnt, dass die Herausforderungen sehr oft im administrativen Bereich liegen. Zwar spielen kulturelle Unterschiede auch eine Rolle, sie sind jedoch meiner Erfahrung nach häufig ein Symptom und nicht die Ursache für Probleme.

Um unseren Schülern einen möglichst abwechslungsreichen Tag zu ermöglichen, denn niemand mag es gerne, wenn über den gesamten Tag der gleiche Lehrer vor ihm oder ihr steht, haben wir uns entschlossen, Kurse zu ermöglichen, die nach eigenen Vorlieben zu wählen sind, soweit dies nicht die Aufnahmekapazitäten sprengt. So werden sehr verschiedene Kurse angeboten, deren Themenreichtum von einem Kochkurs bis hin zu meinem Informatikkurs reicht. Es ist für jeden etwas dabei, denke ich.

Aus meiner Erfahrung mit deutschen Schülern, denen ich im Verlauf der letzten Jahre immer wieder versucht habe zu vermitteln, was Computer eigentlich so können, wenn man sie nicht ausschließlich für youtube und facebook benutzt. Über die durchaus enorme Streuung der Ergebnisse meines Anliegens brauch man an dieser Stelle nicht reden, auch wenn ich die Haltung vieler Menschen zu ihrer Umwelt als bedenklich erachte. Die Frage in den Köpfen vieler Menschen bleibt jedoch bestehen und lautet oftmals in geäußerter Form: "Warum Programmieren lernen?"

So mag es zwar richtig sein, dass die deutsche Sprache für meine Schüler im Vordergrund steht, es gibt jedoch einen nicht unerheblichen Zusammenhang zwischen unserer Mündigkeit als Bürger und dem Verständnis von Technik, die im Laufe der Jahre in immer mehr Teile unseres Lebens vordringt. Wir sind von Technik abhängig und nutzen diese, ohne dabei zu Konsequenzen ein Bewusstsein zu entwickeln. Wir nehmen es als selbstverständlich hin, dass sich Computer per "Geisterhand" in unser Leben einmischen, haben jedoch noch nie darüber nachgedacht, welche Dinge zu genau diesem "Verhalten", ich setzte es in "", da es sich nicht um ein Verhalten im menschlichen Sinne handeln kann, führen.

Nun habe ich in diesem Jahr eine deutlich andere Schülerschaft vor mir sitzen. Viele von ihnen haben Krieg und Flucht erlebt, sind alleine oder mit ihrer Familie nach Deutschland gekommen und haben zum Teil sogar erst hier in Deutschland unsere Schrift erlernt. Sie sind deshalb nicht ungebildet, konnten zuvor aber nur arabische Buchstaben lesen und schreiben, was eine Kunstform für sich ist. Für diese Kinder stellt das Internet häufig neben dem täglichen Konsum auch eine andere Ressource zur Verfügung, denn Nähe zu fernen Freunden und Angehörigen wird über das Internet gesucht und gefunden.

Für diese Schüler ist das Internet also ungleich wichtiger, als es bei deutschen Kindern der Fall ist. Auch erlebe ich sie als durchweg lern- und anstrengungsbereiter, sieht man von den obligatorischen Schlafmützen mal ab. Sie müssen nun aber neben Deutsch noch eine weitere Sprache lernen, nämlich etwas, was ich als Computersprache bezeichnen würde. Eine Sprache, die nach logischen Mustern funktioniert und häufig keinerlei Fehlertoleranz besitzt. Um den Einstieg in die Welt der Computersprache möglichst sanft zu bewältigen, befassen wir uns zuerst mit dem Thema HTML, denn HTML ist relativ nah zu menschlicher Sprache und besitzt keine besonders ausgeprägte Abstraktionsebene.

Als Hilfsmittel benutzen wir übrigens:

  • Spickzettel für Lernwörter
  • farbige Bausteine für Quellcode
  • dauerhafte Präsens von Lernstoff auf einer Internetseite

Nimmt man an, dass der Informatikunterricht halbwegs brauchbare Ergebnisse liefert, so bleibt jedoch noch immer die Frage, ob die Vermittlung von Kenntnissen im Bereich des Programmierens, in diesem Rahmen zähle ich auch HTML dazu, obwohl mir bewusst ist, dass es sich nicht um eine Programmiersprache handelt, einen Gewinn für die Schüler darstellt. Aus meiner persönlichen Perspektive kann ich nur sehr entschieden mit ja antworten, was in Anbetracht der Tatsache, dass ich der Forderung eine Programmiersprache als Fremdsprache in den Schulunterricht einzubinden nicht abgeneigt bin, kaum verwundern sollte.